Wie berechnet man den geschätzten Auftragswert?

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Wozu braucht man überhaupt einen geschätzten Auftragswert?

Eine Auftragswertschätzung ist aus verschiedenen Gründen notwendig (und gesetzlich vorgeschrieben). Einerseits ist anhand des geschätzten Auftragswerts zu ermitteln, welche Verfahrensart zulässig ist (Stichwort: Direktvergabe?) und ob das Vorhaben im Unterschwellenbereich (nur nationale Bekanntmachung) oder im Oberschwellenbereich (zusätzlich EU-Bekanntmachung) liegt. Außerdem ist der geschätzte Auftragswert für weitere Themen relevant, wie zB die Angebots- und Preisprüfung.

In diesem Beitrag sehen wir uns die Auftragswertschätzung bei Liefer- und Dienstleistungsaufträgen an.

Vorhabensbegriff

Grundlage für die Berechnung des geschätzten Auftragswertes ist bei allen Auftragsarten (Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträgen) der geschätzte Gesamtwert aller zum Vorhaben gehörigen Leistungen. Zum Vorhaben gehören neben direkten Fixkosten auch Optionen und Vertragsverlängerungen, die in der Ausschreibung vorgesehen werden. Anzusetzen ist der Netto-Wert. Die Umsatzsteuer ist also nicht zu berücksichtigen.

Welche Leistungen zu einem einheitlichen Vorhaben gehören und damit zusammenzurechnen sind, ist immer im Einzelfall zu beurteilen.

Achtung: Leistungen können auch dann zusammenzurechnen sein, wenn sie gesondert vergeben werden. Wenn zB zwei Leistungen, die jeweils EUR 70.000 kosten, zum selben Vorhaben gehören, dann ist eine Direktvergabe nicht zulässig (Gesamtauftragswert von EUR 140.000) – selbst wenn die Leistungen getrennt beauftragt werden, muss also jeweils ein formales Vergabeverfahren durchgeführt werden.

Bei der Prüfung der Zusammenrechnungspflicht sind verschiedene Aspekte zu berücksichtigen, zB:

  • ein örtlicher Zusammenhang der Leistungen
  • ein zeitlicher Zusammenhang der Leistungen
  • ein sachlicher Zusammenhang der Leistungen
  • ein wirtschaftlicher Zusammenhang (zB durch gemeinsame Budgetierung)
  • ein gemeinsamer Zweck
  • eine gemeinsame Planung und Koordinierung der Beschaffungen
  • das Vorliegen von Aufträgen aus gleichen Fachgebieten
  • gleichartige Bekanntmachungen oder Vertragsbedingungen

Je mehr dieser Faktoren vorliegen, desto eher sind die Leistungen zusammenzurechnen.

Sachkundige Schätzung

Der geschätzte Auftragswert muss vor der Durchführung des Vergabeverfahrens ermittelt werden, und zwar sachkundig – also von Personen, die das notwendige Fachwissen mitbringen. Die Gerichte erwarten, dass eine umsichtige, sorgfältige Prüfung des relevanten Marktsegmentes erfolgt. Man darf sich dabei auch an Erfahrungswerten orientieren; Schätzungen, nur auf Basis von Erfahrungen in anderen Geschäftsfeldern reichen aber nicht aus.

Verbot des Auftragssplittings

Die Wahl der Berechnungsmethode darf nicht den Zweck verfolgen, das Vergaberecht zu umgehen. Wenn nicht sachliche Gründe vorliegen, darf ein Auftrag nicht so unterteilt werden, dass er aus dem Vergaberecht „herausfällt“. Damit ist jede Form von Aufteilung, die nicht durch objektive Gründe gerechtfertigt ist, untersagt.

Es ist aber zulässig, nicht den Gesamtbedarf des Auftraggebers zu schätzen, sondern auf der Ebene eigenständiger Organisationseinheiten, wenn diese jeweilige Organisationseinheit selbständig für ihre Auftragsvergaben zuständig ist. Das ist anzunehmen, wenn die Organisationseinheit unabhängig Vergabeverfahren durchführt und die Kaufentscheidungen trifft, über ein eigenes Budget verfügt und dieses für ihre unabhängigen Beschaffungen einsetzt.

Zur Berechnung des geschätzten Auftragswertes bei Liefer- und Dienstleistungsaufträgen

Leasing, Miete, Pacht oder Ratenkauf

Die Methode zur Berechnung des geschätzten Auftragswertes bei Leasing, Miete (zB auch SaaS), Pacht oder Ratenkauf hängt, abgesehen vom Vorhaben, vor allem von der Laufzeit des Vertrags ab. Als geschätzter Auftragswert ist anzusetzen:

  • bei einer Laufzeit bis zu zwölf Monaten der geschätzte Gesamtbetrag der während der Vertragsdauer voraussichtlich zu leistenden Entgelte;
  • bei einer Laufzeit von mehr als zwölf Monaten der geschätzte Gesamtbetrag der während der Vertragsdauer voraussichtlich zu leistenden Entgelte einschließlich des geschätzten Restwertes;
  • bei unbefristeten Aufträgen oder bei unklarer Vertragsdauer das 48-fache des voraussichtlich zu leistenden Monatsentgelts.

Im Wesentlichen ist also das Entgelt über die Laufzeit anzusetzen, gedeckelt aber mit dem Entgelt über vier Jahre.

Rahmenverträge

Auch bei Rahmenverträgen kommt es auch die Laufzeit an. Als geschätzter Auftragswert ist anzusetzen:

  • grundsätzlich der geschätzte Gesamtwert für die Laufzeit des Vertrages;
  • bei unbefristeten Verträgen und Verträgen mit einer Laufzeit von mehr als 48 Monaten aber nur das 48fache Monatsentgelte (oder gegebenenfalls 4-fache Jahresentgelt.

Das ist jedenfalls für Dienstleistungsaufträge ausdrücklich geregelt. Bei Lieferaufträgen fehlt eine ausdrückliche Regelung, es sprechen aber gute Argumente dafür, dass für sie dasselbe gilt.

Regelmäßig wiederkehrende Liefer- und Dienstleistungsaufträge

Regelmäßig wiederkehrende Liefer- und Dienstleistungsaufträge sind zusammenzurechnen, auch wenn sie getrennt vergeben / bestellt werden. Es ist ein Mindestbetrachtungszeitraum von 12 Monaten anzusetzen.

Wenn ein Auftraggeber regelmäßig Büromöbel bestellt, dann ist bei jeder Bestellung für die Frage, ob eine Direktvergabe zulässig ist, der Bedarf über 12 Monate ausschlaggebend.

Grundsätzlich darf der Auftraggeber den 12 Monats-Zeitraum nach seiner Wahl vergangenheitsbezogenen oder mit einer Zukunftsprognose schätzen. Die Methode darf aber wieder nicht nur den zweck verfolgen, das Vergaberecht zu umgehen.

Wird ein Bedarf von mehr als 12 Monaten gedeckt, dann ist grundsätzlich keine Hinzurechnung von anschließenden Bedarfen notwendig. Es scheint also unter Umständen auch zulässig, bei einem geschätzten Jahresauftragswert von Euro 80.000,- diesen Bedarf jährlich gesondert zu beschaffen und im Wege der Direktvergabe zu vergeben. Das ist aber jedenfalls nur dann zulässig, wenn keine Umgehungsabsicht vorliegt und die getrennten Beschaffungen nicht (zB wegen einer gemeinsamen Planung und Budgetierung) einem einheitlichen Vorhaben zuzuordnen sind. Auftraggeber sollten auch im Auge behalten, dass Prüfstellen wie der Rechnungshof eine solche Praxis kritisch hinterfragen könnten.

Rahmenvereinbarungen

Für die Berechnung des geschätzten Auftragswerts bei Rahmenvereinbarungen ist der für die gesamte Laufzeit geschätzte Gesamtwert heranzuziehen. Der Berechnung muss ein realistisches, nach kaufmännischen Grundsätzen ermitteltes Mengengerüst zugrunde liegen. Im Gegensatz zu Rahmenverträgen und anderen Dauerschuldverhältnissen gibt es bei Rahmenvereinbarung also keine Deckelung mit dem 48-fachen Monatswert.

Sonderbestimmungen

Besondere Regelungen gelten bei Versicherungsleistungen (hier sind die Versicherungsprämie und sonstige Entgelte anzusetzen), bei Bankdienstleistungen und anderen Finanzdienstleistungen (hier die Gebühren, Provisionen und Zinsen und sonstigen Entgelte) und bei Aufträgen, die Planungsleistungen zum Gegenstand haben (hier sind die Gebühren, Provisionen und sonstigen Entgelte anzusetzen).